Experteninterviews

Der Digitale Zwilling ist Wegbereiter für alle Industrie-4.0-Netze

Interview mit Dr.-Ing. Gunther Kegel, VDE-Präsident und Vorsitz der Geschäftsleitung, Pepperl+Fuchs

Der digitale Zwilling – also ein digitales Abbild des kompletten Produktionsprozesses – hat längst Einzug in die Industrie gehalten. Durch den Einsatz dieses Werkzeugs steigt die Effizienz, minimiert sich die Fehlerquote, verkürzen sich Entwicklungszyklen und eröffnen sich neue Geschäftsmodelle. Wie wichtig ist der digitale Zwilling für die Fabrik der Zukunft? Wie weit ist die deutsche Wirtschaft auf diesem Gebiet und welche technischen Hürden gilt es noch zu nehmen? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Dr.-Ing. Gunther Kegel, CEO der Pepperl+Fuchs GmbH und amtierender VDE-Präsident.

Was ist ein Digitaler Zwilling und was kann man mit ihm anfangen?

Kegel: Der Digitale Zwilling ist kein eindeutig belegter Begriff. Früher war er die Bezeichnung eines digitalen Abbilds realer Objekte in einem CAD-Umfeld, um beispielsweise Fabrikabläufe zu simulieren. Inzwischen haben wir auf der Plattform Industrie 4.0 (I4.0) die sogenannte Verwaltungsschale definiert. Sie ist quasi ein Interface zwischen Komponenten wie Sensoren und Aktoren und der I4.0-Welt. Die Verwaltungsschale ist eine vollständige, anwendungsunabhängige digitale Beschreibung und wird häufig synonym zum Begriff Digitaler Zwilling verwendet.

Welche Rolle spielen Digitale Zwillinge in der Fabrik der Zukunft?

Kegel: Die Industrie der Zukunft wird in drei Dimensionen zu einem Industrial Internet of Things – lloT vernetzt. Die Dimensionen lauten Wertschöpfung beziehungsweise Lifecycle, Anwendungsaspekte und Systemhierarchie. Sie sind in der Referenzarchitektur RAMI 4.0 perfekt dargestellt. Jede Komponente dieses dreidimensionalen Netzes muss in einer Verwaltungsschale – ihrem digitalen Zwilling – alle digitalen Informationen bereithalten, die für die Kommunikation in den drei erwähnten Dimensionen benötigt werden. Somit ist der Digitale Zwilling künftig essenzielle Voraussetzung für alle Industrie-4.0-Netze.

Wie weit verbreitet ist der Digitale Zwilling inzwischen in der Industrie?

Kegel: Das Konzept der Verwaltungsschale ist neu und noch nicht in allen Punkten vollständig. Es setzt auf bekannten ISO-, aber vor allem auf IEC-Standards auf. Im Moment entstehen die notwendigen Richtlinien zur Implementierung. Erst nach Abschluss dieser Arbeit können Hersteller und Integratoren dann mit dem Ausrollen dieser neuen digitalen Technologie beginnen.

Welche Ziele verfolgt die Industrie mit diesem Ansatz?

Kegel: Mit der Verwaltungsschale sollen sich künftig alle Industrie-4.0-Komponenten unabhängig von ihrem Hersteller und offen in die entstehenden Industrie-4.0-Netze integrieren lassen. Unsere Geräte, Maschinen, Anlagen und Fabriken stammen immer von verschiedenen Lieferanten – sind also immer Multi-Vendor-Systeme – bei denen eine Vielzahl von Herstellern zusammenarbeiten und die Anlagen so aus den jeweils besten Teilstücken zusammengesetzt werden. Diesen Vorteil müssen wir uns auch in der digitalen industriellen Welt erhalten: Der Zugang zu Industrie-4.0-Netzen soll durch eine genormte, digitale Beschreibung aller Teilsysteme vollständig offen sein.

Welches ist das erste konkrete Anwendungsfeld für den Digitalen Zwilling?

Kegel: Ohne Verwaltungsschale keine offenen Industrie-4.0-Netze! Die Verwaltungsschale – oder synonym der Digitale Zwilling – ist der Wegbereiter für alle offenen Industrie-4.0-Netze.

Nach einer Erhebung des Marktforschungsunternehmens Gartner soll bis 2021 die Hälfte aller großen Industrieunternehmen den Digitalen Zwilling einsetzen – wie ist Deutschland hier gerüstet?

Kegel: Ich bin nicht sicher, von welchem digitalen Zwilling Gartner spricht. Im Sinne meiner Definition ist Deutschland bestens gerüstet – wir haben das Prinzip der Verwaltungsschale innerhalb der Plattform Industrie 4.0 hier entwickelt.

Was sind die organisatorischen, technischen und personellen Voraussetzungen für den Digitalen Zwilling?

Kegel: Am Anfang steht die Fähigkeit und Bereitschaft der Unternehmen, Daten aus Maschinen und Anlagen zu erfassen (Konnektivität). Dann müssen die Daten entsprechenden Datenbanken zugeführt werden (Datenmanagement). Schließlich lassen sie sich über Software einsetzen, um einen Kundennutzen zu generieren (Applikation). Das sind die ausschlaggebenden Voraussetzungen, wir nennen das Readyness.

Gibt es noch technische Hürden? Wie lässt sich die Identität des Zwillings sicherstellen?

Kegel: Die größte Hürde ist zurzeit die Angst vor informationstechnischen Sicherheitslücken, also die IT-Security. Geräte, Maschinen und Anlagen sind das Herz der Wertschöpfung. Hier wird das Wissen über Verfahren, Rezepturen, Methoden und Materialien vergegenständlicht. Dieses Wissen müssen die Unternehmen gegen Spionage und Sabotage schützen. Dazu ist eine IT-Security in den eingesetzten Geräten, in der eigenen IT-Landschaft, in der Organisation und schließlich in den Köpfen der Menschen notwendig, die wir zurzeit erst etablieren.

Lässt sich das Konzept des Digitalen Zwillings standardisieren oder bleibt es ein individuelles Werkzeug?

Kegel: Das Konzept der Verwaltungsschale erfordert eine Standardisierung. Der digitale Zwilling als Methodik der Simulation muss auf diesen Standards aufsetzen, bleibt aber unter Umständen selbst herstellergebunden. Das heißt: Die CAD- und Simulationswerkzeughersteller nutzen die genormte datentechnische Repräsentation, prägen den Zwilling in ihren Applikationen aber herstellerabhängig aus.

Entstehen so neue Abhängigkeiten etwa von den Anbietern von Simulationssoftware?

Kegel: Ja, die neue datengetriebene Wirtschaft wird neue Abhängigkeiten zwischen Vertretern des Officefloors und Herstellern der Shopfloors erzeugen. Während der Gerätehersteller von der offenen Integration in Softwareanwendungen abhängig ist, hängt der Softwareanbieter aber umgekehrt genauso von der Bereitstellung und Deutung dieser domänenspezifischen Daten durch den Hersteller ab.

Die größte Herausforderung bei der IT-Sicherheit liegt in der praktischen Umsetzung

Interview mit Dr. Michael Conrad, Software-Architekt, IDS

Das BSI warnt Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber schon seit einigen Jahren davor, Ziel von Hackerangriffen zu werden. Dr. Michael Conrad, Software-Architekt bei IDS ist Experte für IT-Sicherheit in der Energieversorgung. Im Interview erläutert er die Herausforderungen beim Thema IT-Sicherheit für EVU und Netzbetreiber und zeigt auf, welchen Beitrag Normen und Standards für Safety und Security leisten.

Herr Dr. Conrad, in Ihrem Vortrag im Rahmen der Session „Security in der Energieversorgung“ stellen Sie gemeinsam mit einem Fachkollegen von Schneider Electric ein Einsatzszenario nach IEC 62351 vor. Diese Norm ist ein Standard für die Sicherheit in Energiemanagementsystemen und dem zugehörigen Datenaustausch. Mit welchen Themen befasst sich die IEC 62351?

 

Conrad: Die Normenreihe IEC 62351 befasst sich vor allem damit, wie bestehende Sicherheitsprotokolle – etwa TLS, RFC 8446 – korrekt angewendet werden. Ziel dabei: die sichere Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten eines Energiemanagementsystems. In meinem Vortrag erläutere ich dies etwas ausführlicher. Zusätzlich deckt die IEC 62351 aber auch Aspekte wie rollenbasierten Zugriffsschutz, Monitoring und Schlüsselmanagement ab. Diese Aspekte spielen schon heute in bestimmten Szenarien, zum Beispiel bei der Stationsautomatisierung, eine wichtige Rolle.

 

Wo liegen heute die Schwerpunkte bei der Sicherheit in Energiemanagementsystemen? Betrifft das Thema eher Hersteller oder auch Anwender?

 

Conrad: Für eine erfolgreiche Umsetzung von IT-Sicherheit in der Energieversorgung sind beide Gruppen gleichermaßen verantwortlich. Einerseits müssen Hersteller notwendige Sicherheitsfunktionen wie Zugriffsschutz oder Verschlüsselung in ihre Geräte integrieren und diese passend zu den jeweils gültigen technischen und regulatorischen Anforderungen aktualisieren. Andererseits ist es Aufgabe der Anwender, diese Sicherheitsfunktionen auch korrekt anzuwenden und ein sicheres Umfeld in der eigenen Organisation zu schaffen.

 

Wo sehen Sie dann heute die größte Herausforderung?

 

Conrad: Die größte Herausforderung sehe ich in der praktischen Umsetzung. Hersteller müssen notwendige Updates zeitnah bereitstellen. Anwender sind aber genauso in der Pflicht, diese Updates auch kurzfristig auf die vorhandenen Geräte auszurollen. In beiden Fällen verursacht dies zusätzlichen Aufwand, der jedoch insgesamt zu einer höheren Systemsicherheit führt.

 

In der öffentlichen Diskussion werden in erster Linie Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber beim Thema Sicherheit der Managementsysteme genannt. Sind diese auch aus Ihrer Sicht die Hauptbetroffenen oder ist das Thema beispielsweise auch für Industriebetriebe relevant?

 

Conrad: Der Fokus liegt momentan auf den Betreibern kritischer Infrastrukturen. Die Dezentralisierung fordert aber, dass auch die anderen Beteiligten am Energiesystem, also Anlagenbetreiber, Vermarkter oder Aggregatoren, genauso in die Verantwortung zur IT-Sicherheit mit einbezogen werden. Als wichtige Zielgruppe sehe ich die Anlagenbetreiber und darunter auch die angesprochenen Industriebetriebe, die schon jetzt oder künftig ihre steuerbaren Lasten oder Erzeuger in das Energiesystem integrieren. Neben der sicheren Kommunikation in Richtung Netzbetreiber müssen sie sich auch mit Themen wie sicherer Wartung und Diagnose beschäftigen, um die notwendige IT-Sicherheit auch im Anlagenbereich garantieren zu können.

 

Unter dem Slogan »Intelligenz statt Kupfer« werden immer mehr Ortsnetzstationen mit Fernwirktechnik und Überwachungsinstrumenten ausgestattet. Das ist sicherlich ebenfalls ein Thema für die IEC 62351?

 

Conrad: Gerade im Szenario „Intelligente Ortsnetzstation“ werden die Themen Zugriffsschutz und sichere Kommunikation aus der IEC 62351 eine wichtige Rolle spielen. Derzeit wird aufgrund fehlender privater Kommunikationsinfrastruktur meist auf öffentliche Kommunikationssysteme, also zum Beispiel den Mobilfunk, zurückgegriffen. Hierzu bietet die Normenreihe IEC 62351 sowohl für den Austausch von Prozessdaten mittels IEC 60870-5-104, als auch IEC 61850 entsprechende Vorgaben. Einzig im Bereich sichere Wartung und Diagnose solcher abgesetzter Anlagen gibt es aktuell nur wenige direkte Vorgaben durch die IEC 62351. Hier besteht noch Handlungsbedarf.

 

Demnächst soll der lang erwartete Rollout intelligenter Messsystemen – Stichwort Smart Metering – starten. Dabei soll es für die FNN-Steuerbox ein Protokoll für Steuerungslösungen geben. Wie weit sind hier die Standards beschrieben und die Vorgaben geklärt?

 

Conrad: Anfang 2018 wurde die erste Version des Lastenheftes für die FNN-Steuerbox durch das Expertenteam des FNN veröffentlicht. Dort ist bereits die herstellerübergreifende Kommunikationsschnittstelle der FNN-Steuerbox mittels des etablierten Kommunikationsprotokolls IEC 61850 und die prioritätsbasierte Steuerung von elektrischen Anlagen für die verschiedenen Marktrollen beschrieben. Hinsichtlich der IT-Sicherheit hält die FNN-Steuerbox die Anforderungen der Technischen Richtlinie TR-03109-1 des BSI aus dem Umfeld des intelligenten Messsystems ein. Die aktuelle Arbeit des Expertenteams umfasst vor allem einheitliche administrative Funktionen wie Firmware- oder Parameter-Updates.

Future Energy: Die Energiewelt von morgen ist vernetzt digital und flexibel

Interview mit Hildegard Müller, Vorstand Netz & Infrastruktur, innogy

Wie ist das Stromnetz im Jahr 2030 organisiert? Welche Rolle spielt die Sektorenkopplung und welchen Beitrag kann die E-Mobilität leisten? Welche Herausforderungen sind bei der Transformation zu lösen? Diese und weitere Fragen beantwortet Hildegard Müller, Vorstand Netz & Infrastruktur bei innogy.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat kürzlich seinen »Aktionsplan Stromnetz« vorgestellt. In diesem Plan schlägt er Maßnahmen vor, um den Netzausbau deutlich zu beschleunigen und bestehende Netze optimieren zu können. Wie bewerten Sie diesen Aktionsplan? Sind lediglich die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland Nutznießer?

 

Müller: Der Aktionsplan des Bundeswirtschaftsministers nennt sicherlich die richtigen Ziele, liefert jedoch leider nicht die notwendigen Antworten auf die offenen Fragen, die es beim Netzausbau gibt. Es bleibt bei allgemeinen Ankündigungen. Peter Altmaier konzentriert sich zudem zu sehr auf die Übertragungsnetze. Deren Ausbau ist natürlich überfällig, entscheidend für das Gelingen der Energiewende sind aber immer mehr die Verteilnetze. Hier werden mehr als 95 Prozent aller Windenergie- und PV-Anlagen angeschlossen. Jede Kilowattstunde, die lokal erzeugt, gespeichert und verbraucht wird, muss nicht mehr über weite Strecken transportiert werden. Es ist sehr bedauerlich, dass der Bundeswirtschaftsminister während seiner dreitägigen Reise kaum Interesse an den Verteilnetzen gezeigt hat. Wenn hier nicht bald ein Umdenken geschieht, gefährdet die Regierung den Erfolg der Energiewende.

 

Aufgrund des Ausbaus der Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland haben sich die Einspeisekapazitäten erheblich erhöht. Ich vermute, dass in Ihr Netz vorwiegend Solaranlagen einspeisen?

 

Müller: In der Tat hält das Wachstum beim Anschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen an. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 1,7 Millionen dieser Anlagen, von denen rund 20 Prozent an das Verteilnetz von innogy angeschlossen sind. Das entspricht rund 340.000 Anlagen. Mit rund 97 Prozent macht die Photovoltaik den zahlenmäßig größten Teil aus, bei der Einspeisemenge lag allerdings die Windkraft mit einem Anteil von circa 54 Prozent vorn.

 

Wie reagiert innogy auf die zunehmende Einspeisung in das Unternehmensnetz mit technischen und organisatorischen Maßnahmen?

 

Müller: Die weiter wachsende Zahl der angeschlossenen Anlagen sowie die hohe volatile Einspeisemenge machen deutlich, dass die Komplexität des Netzbetriebs weiter zugenommen hat. Auf diese Herausforderungen haben sich die Verteilnetzbetreiber der innogy-Gruppe eingestellt. Pro JahrJährlich investiert innogy deshalb zwischen 600 und 800 Millionen Euro in ihre deutschen Netze. Daneben betreiben wir auch zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Ich bin überzeugt, dass intelligente Verteilnetze eine Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende sind.

 

Mit der zunehmenden Einspeisung aus Erneuerbaren stellt sich auch die Frage nach der Speicherung. Denn der Erzeugungszeitraum elektrischer Energie stimmt häufig nicht mit dem Verbrauchszeitraum überein. Welche Lösungen bieten sich hier in ihrem Netz an? Gibt es bei innogy Aktivitäten in Richtung Sektorenkopplung?

 

Müller: Aus meiner Sicht ist Power-to-Gas eine Technologie, die sehr gut geeignet ist, überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien langfristig und in großem Maßstab zu speichern. In Ibbenbüren, im Norden Nordrhein-Westfalens, testen wir eine solche Anlage. Dort wird Strom aus Windkraft gespeichert. Dabei werden das Strom- und Gasnetz so gekoppelt, dass die vorhandene Erdgasinfrastruktur quasi als Riesenakku genutzt wird. Die bisherigen Ergebnisse haben die Erwartungen sogar noch übertroffen: Insgesamt erreicht die Anlage einen Wirkungsgrad von mehr als 85 Prozent.

 

Und was können Endverbraucher tun?

 

Müller: Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten: Über unseren Vertrieb bieten wir den Kunden seit Jahren Batteriespeicher an. Ein weiterer Baustein sind künftig auch die Batterien der Elektrofahrzeuge. Im Rahmen von Smart Charging könnten wir die Leistungsabgabe so regulieren, dass bei Engpässen alle Nutzer etwas weniger Energie bekommen oder bei Überschuss alle etwas mehr. Entscheidend ist doch nur, dass die Autos vollgeladen sind, wenn sie gebraucht werden. Steuerbare Ladesäulen sind daher auch eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen. In diesem Sinne bietet E-Mobilität sogar die Chance, das Netz der Zukunft zu stützen, indem die Akkus als Pufferspeicher für eine fluktuierende Einspeisung einbezogen werden.

Wie sieht es mit dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Mobilität aus? Können Sie sich vorstellen, dass innogy Miet- oder Leasingmodelle für Elektrofahrzeuge anbietet?

Müller: Momentan ist innogy zum Beispiel im Bereich e-Carsharing aktiv, in zahlreichen Orten laufen E-Carsharing-Projekte in Zusammenarbeit mit den Kommunen.

Die Idee ist einfach: Kommune, Gewerbe und Bürgen teilen sich E-Fahrzeuge. Dadurch benötigt man weniger Autos, weniger Parkplätze und die Kosten sind geringer als bei der Anschaffung eines eigenen Wagens.

 

Wie genau läuft das ab?

 

Müller: Im Einzelnen sieht das so aus: innogy stellt die Fahrzeuge zur Verfügung, die Stadtverwaltung, Gewerbetreibende und alle Bürgen können sie über eine Plattform buchen. Jeder Nutzer erhält eine Kundenkarte, mit der er seine Fahrten individuell organisieren kann. Der Kunde bekommt eine monatliche Auswertung über seine Nutzungsdaten sowie die Abrechnung. Mit der Gemeinde wird über eine monatliche Pauschale abgerechnet.

 

Planen Sie bereits in Richtung eines Schnellladenetzes?

 

Müller: Der Ausbau des Ladenetzes ist die zentrale Voraussetzung für den Erfolg der Elektromobilität. Mit rund 7.250 vernetzten Ladepunkten ist innogy einer der führenden Betreiber von Ladeinfrastruktur in Europa. Dazu kommen rund 13.500 Ladepunkte in privaten oder gewerblichen Stellplätzen und Garagen. Von der norddeutschen Küste bis zum Bodensee und vom Rheinland bis ins Erzgebirge haben wir gemeinsam mit mehr als 170 Stadtwerke-Partnern den größten Ladeverbund in ganz Deutschland aufgebaut. Beim Schnellladenetzt kooperieren wir zum Beispiel mit ALDI Süd und Tank & Rast.

 

Von der E-Mobilität noch zu einem anderen Thema, das die Energiebranche umtreibt: Nach langem Warten und der Überwindung zahlreicher Hürden soll jetzt mit dem bundesweiten Smart-Meter-Rollout gestartet werden. Wie sehen hier die Aktivitäten von innogy aus?

 

Müller: Unser Tochterunternehmen innogy Metering wurde bereits im März 2017 als eines der ersten Unternehmen in Deutschland als Smart-Meter-Gateway-Administrator zertifiziert. Wir bieten alle Dienstleistungen rund um den Rollout auch anderen Energieunternehmen an. Mittlerweile arbeitet innogy Metering bereits mit 25 Stadtwerken, Netz- und Messstellenbetreibern zusammen. Dadurch ergeben sich Synergieeffekten bei der Beschaffung, der Administration und der WAN-Anbindung von über 750.000 intelligenten Messsystemen.

Erwarten Sie eine hohe Akzeptanz bei den Endkunden für das intelligente Messsystem? Gibt es hier Pilotprojekte, die belastbare Erkenntnisse geliefert haben?

 

Müller: Da es für den Smart-Meter-Rollout noch immer keine zertifizierten Gateways gibt, haben sich die Pilotprojekte, die innogy Metering auch gemeinsam mit Herstellern durchführt, zunächst auf die Funktionsfähigkeit der Technik bezogen. Erste intelligente Messsysteme sind mittlerweile aber auch bei Testkunden in Betrieb. innogy Metering hat darüber hinaus auf Basis der modernen Messeinrichtung einen eigenen Zähler entwickelt, der Kunden mit einem Jahresstromverbrauch unter 6.000 Kilowattstunden einen Mehrwert bietet: Mit unserem Zähler können auch Privatkunden unkompliziert auf die eigenen Verbrauchswerte zugreifen. Hier sind unsere Projekte mit Test-Kunden bisher sehr positiv verlaufen.

Sichere, saubere und bezahlbare Energiewende nur mit Flexibilitäten

Interview mit Dr. Georg-Nikolaus Stamatelopoulos, Senior Vice President Generation, EnBW

Die Kopplung des Stromsektors mit den Sektoren Wärme und Verkehr ermöglicht die Integration von mehr erneuerbaren Energien und kann ‒ richtig angewendet ‒ zusätzliche Flexibilität in das System bringen. Welche Rolle dabei flexible konventionelle Kraftwerke spielen können, verrät Dr. Georg-Nikolaus Stamatelopoulos, Senior Vice President Generation, bei der EnBW im Interview.

Herr Dr. Stamatelopoulos, in den vergangenen Jahren haben die »smarten« Themen die Diskussion in der deutschen Energiewirtschaft geprägt – seien es Smart Meter, Smart Grid oder Smart Market. Welche »smarten« Themen beschäftigen Sie bei der Erzeugung elektrischer Energie?

 

Stamatelopoulos: Smarte Themen haben auch bei der EnBW Einzug gehalten. Wir bezeichnen diese nicht immer als smart, aber es haben alle mehr, oder weniger mit Digitalisierung zu tun. Ein konkretes Beispiele ist das Projekt „Smart Heat“ in der Fernwärme. Im Projekt verfolgen wir den flächendeckenden Einbau intelligenter Messtechnik. Dies ermöglicht uns eine Vielzahl an weiteren Produkten und Services rund um die Fernwärme anzubieten wie flexible Tarife, Rückeinspeisung ins Fernwärmenetz oder Lastgangmanagement. Auch mit Big Data setzen wir uns aktiv auseinander. Hierzu haben wir im Bereich der dezentralen Erzeugungsanlagen eine eigene Datenbank speziell für die Bedürfnisse von Betreibern entwickelt. Die Daten werden von uns mittels einer selbstentwickelten webbasierten Anwendung zur Diagnose, Analyse und Zustandsüberwachung (ADAZ) online überwacht. Hierdurch können wir Trends und Muster im Signalverhalten erkennen und zeitnah analysieren. Unerwartete und ungeplante Ausfallzeiten unserer Windkraftanlagen lassen sich so vermeiden. Mit dem CoRA-Portal (Cockpit for Renewable Assets) haben wir ein Betriebsführungswerkzeug entwickelt, dass es der Leitwarte, den Anlagenverantwortlichen und dem Management ermöglicht einen schnellen Überblick über Betriebsweise, Analysen, Reporting und Auswertungen des Anlagenportfolios zu erlangen. Aktuell erweitern wir den Anwendungsbereich auch für die konventionelle Erzeugung.

 

Eine sichere, saubere und bezahlbare Energiewende lässt sich langfristig nur mit Flexibilitäten realisieren. Welche Bedeutung hat die flexible Stromerzeugung für die Energiewende?

 

Stamatelopoulos: Ohne flexible Stromerzeugung kann die Energiewende nicht gelingen. Die Produktion aus den Erneuerbare-Energien- Anlagen, also Wind und Sonne, ist nicht bedarfsorientiert. Damit ein Energieversorgungsunternehmen seinen Lieferverpflichtungen nachkommen kann, muss es in einer von Erneuerbaren dominierten Welt flexibel Strom erzeugen können. Wenn man diesen Gedankengang auf alle Energieversorgungsunternehmen ausweitet, dann geht es letztlich um die Versorgungssicherheit in Deutschland. Ein weiterer Aspekt der Energiewende hat mit der Prognostizierbarkeit von Wind und Sonneneinstrahlung zu tun. Auch wenn diese in den vergangenen Jahren deutlich besser wurde, bleibt immer noch ein Restrisiko, dass die prognostizierte – und sehr wahrscheinlich bereits verkaufte – Strommenge kurzfristig in der Realität nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Das wird nicht immer der Fall sein, aber der Fall wird immer wieder vorkommen. Und für einen solchen Fall ist das Energieversorgungsunternehmen am besten aufgestellt, das flexiblen Strom erzeugen kann.

 

Konventionelle Kraftwerke werden wohl auch in den nächsten Jahren noch einen Großteil der Grundlast decken. Teilen Sie diese Ansicht? Welche Rolle können flexible konventionelle Kraftwerke künftig spielen?

 

Stamatelopoulos: Im Prinzip ja, wobei ich mir nicht sicher bin, ob der Begriff Grundlast der geeignete Ausdruck ist. In einer von Erneuerbaren dominierten Welt – und eine solche Welt streben wir gesellschaftspolitisch an – ist vielmehr der Begriff Residuallast ausschlaggebend. Die Residuallast kann zeitlich von Null bis maximal zum höchsten Spitzenbedarf variieren – abhängig davon, wie hoch die Erneuerbaren-Produktion ist. Wenn die Residuallast Null ist, dann decken die Erneuerbaren den gesamten Bedarf – auch die heutige Grundlast. Wenn der Beitrag der Erneuerbaren minimal, oder gar Null ist, dann muss der Bedarf durch flexible Stromerzeugung abgedeckt werden. Die konventionellen Kraftwerke beweisen schon heute, dass sie diese flexible Stromerzeugung zuverlässig und relativ kostengünstig bereitstellen können. Diese Eigenschaft wird in Zukunft noch wichtiger werden.

 

Die Speicherung elektrischer Energie wird in Zukunft sicherlich eine große Rolle spielen – auch vor dem Hintergrund, dass die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität ausgebaut wird und ein großer Gleichzeitigkeitsfaktor beim Laden gefragt sein wird. Welchen Beitrag können Ihre Kraftwerke beim Thema Speicherung leisten?

 

Stamatelopoulos: Bleiben wir für einen Moment beim Begriff flexible Stromerzeugung. Sie umfasst drei wesentliche Kategorien: Zum einen mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke, etwa Gas und Kohle; dann mit erneuerbaren Brennstoffen betriebene Anlagen, etwa Biogas und Biomasse; und schließlich Speicheranlagen wie Pumpspeicherkraftwerke und Batterien. Man kann den Begriff flexible Erzeugung durch den Begriff Speicher ersetzen, dann ist im ersten Fall Gas, oder Kohle der Speicher, im zweiten die Biomasse und im dritten die Batterie, beziehungsweise das Pumpen von Wasser auf eine bestimmte Höhe. Ich bin überzeugt, dass alle diese Technologien in Zukunft ihren Beitrag zur Energiewende leisten werden. Auch Kombinationen dieser Technologien sind möglich.

Können Sie ein Beispiel nennen?

 

Stamatelopoulos: Ein Beispiel ist das Zuschalten einer Batterie in einem Kraftwerk, um die Frequenzregelung des Netzes schneller zu bewerkstelligen. Ein solches Projekt haben wir im Rahmen eines Joint Ventures mit der Firma Bosch in unserem Kraftwerk in Heilbronn realisiert. Ein weiteres Beispiel für eine mögliche Kombination ist die Mitverbrennung von Biomasse in einem Kohlekraftwerk. Dadurch lassen sich dessen CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Diese Variante wird in anderen europäischen Ländern praktiziert; in Deutschland hingegen gibt es noch keine großtechnische Anwendung dieser Art. Auf der Verbrauchsseite ist das Aufladen einer Batterie nichts Anderes, als ein zusätzlicher Strombedarf. Und dieser kann, wie jeder andere, durch Erneuerbare abgedeckt werden, wenn diese – eventuell auch im Überschuss – zur Verfügung stehen, oder durch eine flexible Stromerzeugung, die dann zur Verfügung steht, wenn sie gebraucht wird.

 

Mit dem in Ihren Anlagen erzeugten Strom können rechnerisch rund 15 Millionen Haushalte im Jahr versorgt werden. Gibt es bei Ihnen ein Pilotprojekt in Richtung flexible Stromerzeugung oder welche Zukunftsperspektiven sind bei Ihnen in der Planung?

 

Stamatelopoulos: Spontan fällt mir bei dieser Frage das Fuel Switch Projekt an unserem Standort in Stuttgart-Gaisburg ein. Hier wird ein mit Kohle gefeuertes Heizkraftwerk durch ein kleineres, effizientes und emissionsärmeres Gasheizwerk ersetzt. Seit Anfang 2017 wird dafür vor Ort gebaut. Das Gasheizkraftwerk besteht aus Gasmotoren mit einer elektrischen Leistung von insgesamt 30 MW, aus Gaskesseln mit einer Wärmeleistung in Kombination von bis zu 240 MW, sowie einem Wärmespeicher mit einer Kapazität von 300 MWh. Mit dieser Investition wollen wir die Fernwärmeversorgung im Raum Stuttgart modernisieren. Durch den Umstieg von Kohle auf Gas sichern wir langfristig die Fernwärmeversorgung in Stuttgart und leisten einen Beitrag zur schrittweisen Dekarbonisierung der Erzeugung. Ende 2018 soll das neue, moderne Heizkraftwerk ans Netz gehen.

Wir brauchen klare Spielregeln, damit Kunden jederzeit und überall laden können

Interview mit Dr. Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer, Netze BW

Die Einbindung von Elektrofahrzeugen und deren Ladeinfrastruktur in das System wird in den nächsten Jahren zur Herausforderung für Verteilnetzbetreiber. Welche Auswirkungen hat Elektromobilität konkret auf die Netze? Und wie sehen die „Spielregeln“ für eine erfolgreiche Integration aus? Antworten auf diese Fragen gibt Dr. Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer des Verteilnetzbetreibers Netze BW.

Wir unterstützen den Mittelstand bei IT-Sicherheit

Interview mit Andreas Harner, Leiter des CERT@VDE

Industrie 4.0 eröffnet große Chancen und Wertschöpfungspotenziale – gerade für den Wachstumsmotor Mittelstand. Zugleich steigt mit der zunehmenden Vernetzung der Produktionssysteme das Risiko von Cyber-Angriffen. Umso wichtiger ist es, IT-Sicherheit als kritischen Erfolgsfaktor für Industrie 4.0 und Digitalisierung zu stärken. Hier setzt CERT@VDE an: die erste Plattform zur Koordination von IT-Security-Problemen im Bereich der Industrieautomation. Im Interview erklärt Andreas Harner, Leiter des CERT@VDE, die Vorteile für Unternehmen.

Bei CERT@VDE denken viele Menschen erst einmal an Zertifizierung. Hinter dem Begriff CERT versteckt sich aber etwas ganz anderes.

Harner: Genau, bei CERT@VDE geht es nicht um Zertifizierung oder Prüfung. CERT steht für „Computer Emergency Response Team“. In einem solchen Team arbeiten Experten im Bereich IT-Sicherheit. Sie unterstützen bei der Lösung von IT-Sicherheitsvorfällen und empfehlen Maßnahmen, wie sich solche Vorfälle vermeiden lassen. CERT@VDE ist dabei die erste Plattform in Deutschland zur Koordination von IT-Security-Problemen im Bereich Industrieautomation.

Wie ist die Idee dazu entstanden?

Harner: Der Wunsch nach einer Institution wie dem CERT wurde von Seiten der Industrie an uns herangetragen: Vielen Unternehmen fehlen die nötigen Ressourcen, um professionell auf neue Sicherheitslücken zu reagieren. Sicherheitsverantwortliche aus der Industrieautomation haben zudem das Bedürfnis nach firmenübergreifender Zusammenarbeit. Der VDE als Technologie-Verband stellt mit CERT@VDE genau diese neutrale Plattform für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Umfeld von IT-Sicherheit zur Verfügung.

Und wie sieht die Zusammenarbeit bei CERT@VDE genau aus?

Harner: Wir fungieren vor allem als Informationsplattform: CERT@VDE stellt Schwachstellen in Produkten der beteiligten Hersteller sowie Warnungen – sogenannte Advisories – online zur Verfügung. Zudem stehen wir in ständigem Austausch mit weiteren CERTs und Behörden wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Daneben sind wir auch ein „Single Point of Contact“: Sicherheitsforscher oder andere, die auf Schwachstellen stoßen, können uns diese melden. Wir vermitteln dann zwischen ihnen und den Sicherheitsverantwortlichen in den Unternehmen. Damit gewährleisten wird, dass die Meldung einer Schwachstelle auf kürzestem Weg auch den richtigen Empfänger erreicht. Sind mehrere Hersteller betroffen, koordinieren wir das gemeinsame Vorgehen. Das reduziert den Aufwand für die Hersteller. So entlasten wir Unternehmen und etablieren ein effektives Frühwarnsystem.

Welche weiteren Vorteile haben Unternehmen?

Harner: Mit dem CERT@VDE können Hersteller viele Kunden gleichzeitig erreichen. Wir unterstützen bei der Erstellung und der Verbreitung einer Warnung, indem wir sie zentral auf unserer Website cert.vde.com veröffentlichen. Durch die Ansiedelung in der gleichen Zeitzone und in deutscher Sprache ist der schnelle Informationsaustausch gewährleistet Dabei profitieren nicht nur die in CERT@VDE Aktiven von unserer Arbeit: Betreiber setzen häufig Produkte unterschiedlicher Hersteller ein. Die Information über Schwachstellen, in denen von ihnen verwendeten Produkte müssen sie sich nun nicht mehr mühsam auf den Websites der einzelnen Hersteller zusammensuchen. Auf der CERT@VDE-Homepage erkennen sie sofort, ob sie betroffen sind oder nicht. Wir erhöhen mit CERT@VDE also nicht nur die Sicherheit der beteiligten Unternehmen, sondern letztlich der ganzen Branche und unterstützen damit den Motor der deutschen Wirtschaft – unseren Mittelstand.

Ihr Browser scheint veraltet zu sein. Sie können ihn ganz einfach hierüber aktualisieren: browsehappy.com